Anmerkung zu OGH 30. 8. 2016, 6 Ob 198/15h, AE&E II, betreffend Organhaftung bei Einholung rechtlichen Rates
Bemerkenswert ist zunächst, dass der OGH nun in 6 Ob 198/15h, AE&E II (Realteilung durch Sacheinlage auf den Kommanditisten) seine im ähnlichen Tatsachenkomplex ergangene E 23. 2. 2016, 6 Ob 171/15p, AE&E I Upstream-Darlehen (dazu Schopper/Walch, NZ 2016, 163), dahingehend klarstellt, dass der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH unmittelbar gegenüber der KG (analog § 25 GmbHG inklusive 5jähriger Verjährungsfrist) auch ohne Personenidentität von Kommanditisten, GmbH-Gesellschaftern und Geschäftsführern haftet, und auch unabhängig davon, ob die Komplementär-GmbH Geschäftsführungsaufgaben für mehrere KGs ausübt oder nicht (der OGH folgt ausdr Schopper/Walch, NZ 2016, 163 [171]) oder nur als reine Arbeitsgesellschafterin tätig war. Natürlich gilt dasselbe auch hins der Vorstände und Aufsichtsräte bei einer AG als Komplementärin.
Die Haftung des Geschäftsführers entfällt zwar, wenn alle Gesellschafter seiner Handlung zugestimmt haben oder er eine Gesellschafterweisung befolgte; dies gilt aber bei rechtswidrigen Weisungen nicht (insb bei Verstößen gegen Gläubigerschutzbestimmungen oder Kapitalerhaltungsvorschriften). Bei Vorstandmitgliedern sind an sich schon keine Weisungen denkbar (Ausnahme: § 103 Abs 2 AktG).
In Fortschreibung der mit OGH 29. 5. 2008, 2 Ob 225/07p, Pfeiffer/BEVOX/BKS, begonnenen Rsp-Linie zur Kapitalerhaltung bei GmbH & Co KG wäre die hier prozessgegenständliche Zuwendung (Realteilung durch Einbringung der AE&E Group GmbH samt ausländischen Tochtergesellschaften) der KG an die Konzernmutter (GmbH-Gesellschafterin und Kommanditistin) ein Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften, wenn nicht ein Rechtfertigungsgrund vorliegt, was noch im fortgesetzten Verf zu prüfen sein wird.
Wesentlich für die Praxis ist mE die Aussage des OGH in der nun vorliegenden E, dass bei Umstrukturierungen entsprechender Größenordnung die Beiziehung von "spezialisierten Beratern" regelmäßig verpflichtend sei (zur Beraterauswahl auch Brugger, Unternehmenserwerb [2014] Rz 51). Dem kann nur zugestimmt werden.
Zu differenzieren ist aber mE wie folgt: Die Frage, ob überhaupt eine Umstrukturierung vorgenommen werden soll, ebenso wie die Frage, welche und wieviel "angemessene Information" dazu einzuholen ist und welche Berater zur Beschaffung der "angemessenen Information" beigezogen werden sollen, ist idR eine unternehmerische Entscheidung nach den Kriterien der Business Judgement Rule (BJR; § 25 Abs 1a GmbHG; § 84 Abs 1a AktG). Der OGH ist diesbez unklar, wenn er auf die behauptete betriebliche Notwendigkeit der Umstrukturierung kursorisch eingeht (Pkt 4.5.3 aE). Hingegen ist dann die konkrete Frage der rechtlich korrekten Umsetzung der Umstrukturierung (so auch im Anlassfall dieser E) idR keine unternehmerische Entscheidung, sondern eine rechtlich gebundene Entscheidung und unterliegt daher nicht der BJR. Hier ist lt OGH Expertenrat notwendigerweise einzuholen. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Einholung solchen Expertenrats und die Haftung des Organs.
Zur Aussage des OGH wäre zu ergänzen, dass je nach Sachverhalt auch eine Auskunft bei der zuständigen Behörde eingeholt werden muss (zutr VwGH 24. 3. 2015, 1023/03/0054) und ein Vertrauen auf die behördliche Rechtsauskunft schuldausschließend ist (so schon Brugger, ecolex 2010, 1166 [1167]).
Die Nichteinholung des Expertenrats bei Umstrukturierungen bedeutet also Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht (§ 25 Abs 1 GmbHG; § 84 Abs 1 AktG), bewirkt somit Rechtswidrigkeit. Bei tatsächlicher Einholung des Expertenrats handelt das Organ zwar diesbezüglich pflichtgemäß (nicht rechtswidrig), doch kann anschließend die Befolgung des Rats uU eine objektiv rechtswidrige Handlung sein (nicht so differenzierend aber Schopper/Walch, GES 2012, 215 [218-219]).
Eine Organhaftung ist schadenersatzrechtlicher Natur und setzt daher – neben der genannten Rechtswidrigkeit der Handlung – auch Verschulden (zumind leichte Fahrlässigkeit) des Organs voraus. Die beklagten Organe meinten in diesem Verf, dass ihnen (bzw den Beratern) bei Umsetzung des eingeholten Rechtsrats, nämlich beim Abschluss des Einbringungsvertrages am 1. 12. 2008 die E OGH 29. 5. 2008, 2 Ob 225/07p, nicht bekannt sein musste. Sie hätten sich auf externe sachkundige Berater (Notare, Steuerberater) gestützt und ein SV-Gutachten einer Gesellschaftsrechts-Expertin eingeholt. Dem hält der OGH entgegen, dass die Ansicht des OGH in 2 Ob 225/07p (Kapitalerhaltung bei der GmbH & Co KG) nicht überraschend gewesen sei, weil schon OGH 24. 7. 1996, 8 Ob 2124/96b, IMMAG/ULG, in diese Richtung gegangen sei (freilich nur obiter) und es schon vor 2008 etliche Literaturstimmen zur Kapitalerhaltung bei der GmbH & Co KG gegeben habe. Die E 2 Ob 225/07p sei außerdem schon ab 18. 6. 2008, also rund fünf Monate vor Abschluss des Einbringungsvertrages, im RIS veröffentlicht worden. Ein sorgfältiger Rechtsberater hätte das Problem erkennen müssen; es liege daher Verschulden vor. Hier impliziert der OGH, dass es zur Sorgfalt des Rechtsberaters gehöre, allerneueste Jud im RIS zu recherchieren, um noch nicht in Fachzeitschriften publizierte E zu berücksichtigen; dies ist mE zu streng.
Trotz § 2 ABGB ist ein entschuldbarer Rechtsirrtum nicht von vornherein ausgeschlossen (hA). Aus Sicht der rechtsberatenden Berufe scheint mir bemerkenswert, welche Kriterien der OGH postuliert, um zu beurteilen, ob ein eingeholter Rechtsrat das Organ von der Haftung exkulpiert. Da die Einholung fachlichen Rats die objektive Sorgfaltswidrigkeit (und damit die Haftung des Organs) ausschließen kann, gibt der OGH - in Ermangelung von untergerichtlichen Sachverhaltsfeststellungen aber nur allgemeine - Kriterien für die Exkulpierung eines Organs von der Haftung an:
ME hätte der OGH anhand der bisherigen Jud noch zusätzliche Kriterien (vgl Brugger, Verbotsirrtum und Kartellrecht, ecolex 2010, 1166 mwN) erwähnen müssen:
Folgende weitere Kriterien wurden später von Schopper/Walch, GES 2012, 215 im Anschluss an BGH 20. 9. 2011, II ZR 234/09, Ision, erarbeitet, die der OGH mE auch aufgreifen hätte sollen; diese Kriterien bringe ich hier zT mit eigenen Anm:
Es wurden später aber auch weitere Kriterien entwickelt, die der OGH leider auch nicht erwähnt (idF sind nur die zusätzlichen Kriterien – mit meinen ergänzenden Anm - gelistet gem den mE weitgehend zutr Schlussanträgen von GA J Kokott 28. 2. 2013zu EuGH C-681/11, SSK/BWB/Schenker, betr Rechtsirrtum eines Unternehmens):
Jüngst stellte der BGH 28. 4. 2015, II ZR 63/14, auch mE zutr klar, dass
Der OGH hätte den Unterinstanzen also mE wesentlich mehr Kriterien zur Beurteilung eines entschuldbaren Rechtsirrtums mitgeben können.