Keine Anwendung von § 1184 Abs 2 ABGB auf die GmbH und AG
Von Walter Brugger und Alexander
Schopper
Der Beitrag
untersucht die Frage, ob die bei der GesbR geltende Nachschussregelung des
§ 1184 Abs 2 ABGB auch im Recht der GmbH und der AG anwendbar ist,
zumal § 1175 Abs 4 ABGB die subsidiäre Anwendung des GesbR-Rechts „auch
auf andere Gesellschaften" anordnet.
Inhaltsübersicht:
C.. Würdigung des
Meinungsstands in der Lehre
4. Kapitalgesellschaft ist
nicht Personengesellschaft
7. Persönliche Haftung
aufgrund Vertrauensrelation
8. Verwässerung nicht
Ausschluss
10. Unverzichtbares
Austrittsrecht
Die Gesellschafter einer
Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GesbR) sind grundsätzlich nicht verpflichtet,
Nachschüsse zur vertraglich zugesagten Einlage zu leisten (§ 1184 Abs 1
ABGB). Allerdings bestimmt § 1184 Abs 2 ABGB[1], dass
die Gesellschafter dennoch – auch ohne Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag – die
Leistung von Nachschüssen beschließen können, wenn die Fortführung der GesbR
sonst nicht möglich wäre. Ausreichend ist dafür ein Mehrheitsbeschluss.[2] Das
Gesetz ordnet somit für diesen Fall eine Ausnahme von dem ansonsten geltenden
Einstimmigkeitsprinzip an.[3] Wann
die Fortführung einer GesbR „sonst nicht möglich wäre", sagt das ABGB
nicht. Es wird sich uE um eine gravierende (Liquiditäts-) Krise der
Gesellschaft handeln müssen, auf Grund derer der Fortbestand der Gesellschaft
ex ante betrachtet unmöglich erscheint und die
Gesellschaft aufgelöst werden müsste.
Ein Gesellschafter der
einem solchen Beschluss auf Nachschussleistung nicht zugestimmt hat und den
Nachschuss nicht leistet, kann innerhalb angemessener Frist aus der GesbR austreten
oder aufgrund einer Klage der übrigen Gesellschafter vom Gericht aus der GesbR
ausgeschlossen werden.[4]
Diese für die GesbR
geltende Bestimmung findet sich im 27. Hauptstück des ABGB, das mit Wirkung ab
1. 1. 2015 vollkommen überarbeitet wurde.[5] Gem
der programmatischen Bestimmung in § 1175 Abs 4 ABGB sind die
Bestimmungen des gesamten Hauptstückes auch auf andere Gesellschaften
anzuwenden, soweit für diese keine besonderen Vorschriften bestehen und die
Anwendung dieser Bestimmungen auch unter Berücksichtigung der für die jeweilige
Gesellschaft geltenden Grundsätze angemessen ist.
Es stellt sich daher die
Frage, ob aufgrund von § 1175 Abs 4 ABGB die Nachschussregelung des
§ 1184 Abs 2 ABGB auf andere Gesellschaftsformen, insbesondere die
GmbH oder die AG[6],
anzuwenden ist. Gegebenenfalls bestünde ein konkreter Handlungsbedarf bei der
Gestaltung von Gesellschaftsverträgen: Um das Eingreifen des in § 1184 Abs 2
ABGB verankerten Prinzips „Sanieren oder Ausscheiden per Mehrheitsbeschluss“
bei einer GmbH oder AG von vornherein zu verhindern, müsste die Anwendung des
§ 1184 Abs 2 ABGB im Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen werden.[7]
Das GesbR-Reformgesetz
(GesbR-RG) soll die GesbR als historisch betrachtet älteste heute noch in
Geltung stehende Gesellschaftsform in Österreich in zahlreichen Bestimmungen „modernisieren“.
Die Bestimmungen über die GesbR hatten seit jeher insoweit eine Auffangfunktion,
als sie subsidiär zur Auffüllung von Lücken im rechtlichen Regime anderer
Gesellschaftsformen heranzuziehen waren.[8] Der
Gesetzgeber wollte im Zuge der Reform auch einige Institutionen des allgemeinen
Gesellschaftsrechts kodifizieren, insbesondere die actio
pro socio sowie die Pflicht zur Interessenwahrung und
zur Gleichbehandlung. Nach den Gesetzesmaterialien darf daraus freilich nicht
der Schluss gezogen werden, dass diese Rechtsinstitute „auf alle
Gesellschaftsformen undifferenziert angewendet werden sollen“.[9]
Vielmehr müssen jeweils die spezifischen Strukturmerkmale und Zusammenhänge der
einzelnen Rechtsformen beachtet werden. Ausdrücklich sprechen die Materialien
die Pflicht zur Mitwirkung und zur Förderung des Gesellschaftszwecks an, die
bei einer personalistisch organisierten Gesellschaft mehr im Vordergrund steht
und einen anderen Inhalt hat als bei einer Kapitalgesellschaft.[10] Im
Zusammenhang mit § 1184 ABGB thematisiert die Regierungsvorlage
nicht, ob diese Bestimmung auf Kapitalgesellschaften angewendet werden sollte.
Auch der Bericht des Justizausschusses enthält diesbezüglich keine
Ausführungen.[11]
Die Materialien geben
also keine Indikation für die Anwendung von § 1184 Abs 2 ABGB auf die
GmbH oder AG.
C.
Würdigung
des Meinungsstands in der Lehre
Ausführlich hat sich mit dieser Frage Walch auseinandergesetzt.[12] Er
qualifiziert die GesbR-Bestimmungen als subsidiäre Rechtsquelle des GmbH-Rechts.[13] Dies
entspricht zweifellos dem gesetzgeberischen Willen, der im ABGB wie bereits
erwähnt einen „allgemeinen Teil des Gesellschaftsrechts",[14] der
subsidiär anwendbar sein soll, schaffen wollte. Er sieht die in § 1184 Abs 2
ABGB dargestellte Regel "Sanieren oder Ausscheiden" als Ausfluss der Treuepflicht
zwischen den Gesellschaftern.
In der Folge
unterscheidet Walch zwischen
zusätzlichen „Einlagen“ und zusätzlichen „Nachschüssen“.
· Angesichts der Bestimmungen im GmbHG über die
Kapitalerhöhung und den Kapitalschnitt (§§ 52 ff GmbHG) sieht er
hinsichtlich zusätzlicher „Einlagen“ eine abschließende Regelung im GmbHG,
weshalb für eine subsidiäre Anwendung von § 1184 Abs 2 ABGB kein Raum
bleibt.[15]
· Bei Nachschüssen zieht Walch zwar § 72 GmbHG in Betracht und erkennt, dass
§ 72 GmbHG „im Wesentlichen mit § 1184 Abs 1 ABGB
vergleichbar“ ist und dem rechtsformübergreifenden gesellschaftsrechtlichen
Prinzip des Belastungsverbotes entspricht. Dann argumentiert er aber, dass
§ 1184 Abs 2 ABGB keine Nachschusspflicht, sondern nur eine
Nachschussobliegenheit normiert, und auch das nur für den Fall, dass die
Gesellschaft ohne zusätzliche Nachschüsse aufgelöst werden muss. Er plädiert
für die subsidiäre Anwendung von § 1184 Abs 2 ABGB, weil es
für die sanierungswilligen Gesellschafter (wohl als Ausfluss der Treuepflicht) unzumutbar
sei, dass die sanierungsunwilligen Gesellschafter „als Trittbrettfahrer ihre
Gesellschafterstellung behalten dürfen“.[16] Durch
§ 1184 Abs 2 ABGB würden die GmbH-spezifischen Regelungen „nicht
ausgehebelt“; es würden die spezifisch GmbH-rechtlichen Bestimmungen über die
Kapitalerhöhung und den Kapitalschnitt einer subsidiären Anwendung des
§ 1184 Abs 2 ABGB nicht widersprechen. § 1184 Abs 2 ABGB
sei bei Nachschüssen im GmbH-Recht „ergänzend anwendbar“.[17]
Allerdings räumt Walch ein, dass angesichts der
OGH-Judikatur, die einen Ausschluss eines GmbH-Gesellschafters nur auf Basis
einer gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung zulässt, der
Gesellschafterausschluss nach § 1184 Abs 2 ABGB bei der GmbH
ohne ausdrückliche Satzungsbestimmung unanwendbar bleiben wird, solange die Rsp
nicht der gegenteiligen hL folgt.
Mit dieser ausführlich
begründeten Ansicht von Walch muss
man sich auseinandersetzen,[18] auch
wenn an dieser Ansicht im Ergebnis erhebliche Bedenken bestehen, die näher darzulegen
sind, schon um dem Zustandekommen einer sog hL, die womöglich von der Rsp allzu
rasch übernommen wird, entgegenzuwirken.[19]
Zutreffend ist die von Walch getroffene Unterscheidung in
Nachschusspflicht (in § 72 GmbHG) und Nachschussobliegenheit (in
§ 1184 ABGB). Der Gesellschafter ist nach § 1184 Abs 2 ABGB
nicht zum – von den Mitgesellschaftern beschlossenen – Nachschuss verpflichtet,
aber er muss ausscheiden und verliert – wenn er mit dem Mehrheitsbeschluss
nicht einverstanden ist – seine Gesellschafterstellung, sein Investment, seine
Unternehmensbeteiligung.
Walchs Unterscheidung
zwischen zusätzlichen „Einlagen“ (bringt zusätzliche Stammeinlagen, aber es
besteht keine Zeichnungspflicht bei Kapitalerhöhungen) und zusätzlichen „Nachschüssen“
(bringt keine zusätzlichen Stimmrechte, aber es besteht Einzahlungspflicht)
führt aber nicht weiter: In beiden Fällen geht es um zusätzliche Leistungen des
Gesellschafters an die Gesellschaft, die vorweg nicht (bei der Kapitalerhöhung)
oder sehr wohl (bei den Nachschüssen) klar definiert sind.
Die Sanierungsnachschüsse
des § 1184 Abs 2 ABGB hätten unter dem Blickwinkel der Vorhersehbarkeit
eher Ähnlichkeit mit zusätzlichen Einlagen (Mehrheitsbeschluss auf Kapitalerhöhung,
die vorweg nicht im Vertrag definiert und daher nicht absehbar war). Walch aber sieht bei den GmbHG-Regeln
über die Kapitalerhöhung und den Kapitalschnitt eine abschließende Regelung und
verneint daher die Anwendung von § 1184 Abs 2 ABGB.
Vielmehr betont Walch eine Ähnlichkeit der Zielsetzung
des Sanierungsnachschusses mit den
Zielen des § 72 GmbHG. Doch ist hier entgegenzuhalten, dass die §§ 72–74
GmbHG ein klares Konzept[20]
bieten und so betrachtet eine abschließende lückenfreie Regelung darstellen. Näheres
dazu weiter unten.
Schließlich ist noch
darauf hinzuweisen, dass es der OGH[21]
zutreffend ablehnt, bei einer GmbH die Treuepflicht der Gesellschafter im Falle
eines Sanierungsbedarfs zu überspannen. Die Treuepflicht kann das Konzept „Sanieren
oder Ausscheiden“ bei einer Kapitalgesellschaft nicht tragen.
Koppensteiner geht auf
die Problematik nur kurz ein.[22] Er
argumentiert, dass die von § 1184 Abs 2 ABGB angestrebte
Krisenbewältigung für Nachschüsse gem § 72 GmbHG "keine Rolle
spielt". Zur Krisenbewältigung bieten sich laut Koppensteiner die §§ 59 f GmbHG (vereinfachte
Kapitalherabsetzung) an, was aber einer aktuellen Krise nicht effektiv entgegenwirken
könne.[23]
Daher sei § 1184 Abs 2 ABGB der für die Krisenbewältigung „geeignetere
Weg“ und im GmbH-Recht anzuwenden. Im Recht der AG hingegen will Koppensteiner § 1184 Abs 2 ABGB
nicht anwenden, weil der Aktionär als anonymer Kapitalgeber gar keine
Möglichkeit habe, sich über die Angelegenheiten der Gesellschaft zu
unterrichten und die Regelung „Sanieren oder Ausscheiden“ für den Aktionär
erwartungswidrig sei.
Zutreffend ist, dass eine
in der Satzung verankerte Nachschusspflicht gem § 72 GmbHG nur noch von einem
Gesellschafterbeschluss, nicht aber vom Vorhandensein einer nachweisbaren Krisensituation
abhängt. Unzutreffend ist uE aber die offenbar darauf basierende These, dass Nachschüsse
gem § 72 GmbH nicht zur Krisenbewältigung tauglich sein sollen.[24] Im
Gegenteil: Die Gesellschafter werden ohne irgendeinen Kapitalbedarf, wie er
nicht nur, aber typischerweise auch in der Krise[25]
entsteht, wohl keinen Nachschuss-Einforderungsbeschluss fassen. Es kann
also nicht gesagt werden, im GmbH-Recht gäbe es keine Sanierungsinstrumentarien
und § 1184 Abs 2 ABGB müsse helfend herhalten. Vielmehr enthalten
gerade die Regeln über die Nachschüsse ein GmbH-spezifisches Konzept für eine
Liquiditätsbeschaffung in der Krise.
Auch die Differenzierung
von Koppensteiner zwischen GmbH und
AG überzeugt nicht: Die (möglicherweise sogar tagesaktuelle) Informationslage eines
GmbH-Gesellschafters über die finanzielle Situation der GmbH rechtfertigt nicht,
den Gesellschafter erwartungswidrig zur Krisenbewältigung durch neue
Einzahlungen heranzuziehen, wenn dies nicht im Gesellschaftsvertrag vorgesehen ist
(vgl § 72 GmbHG) und der Gesellschafter der Zahlung nicht zugestimmt hat,
sondern durch Mehrheitsbeschluss überstimmt wurde. Daran ändert auch die eventuelle
Zulässigkeit einer syndikatsvertraglichen Nachschusspflicht bei der AG[26]
nichts, denn eine syndikatsvertragliche Bindung setzt die Zustimmung des
jeweiligen Aktionärs voraus. Der Grundgedanke des Kapitalgesellschaftsrechts,
wonach keine persönliche Haftung der Gesellschafter und iA keine
Nachschusspflicht besteht, soll bei der GmbH weniger gelten als bei der AG? Im
Übrigen sind die faktischen Unterschiede in der Struktur von GmbH und AG
(Anzahl und Informationslage der Gesellschafter) deutlich geringer als
landläufig für die personalistische GmbH und angeblich idR kapitalmarktorientierte
AG angenommen.[27]
Jedenfalls lässt sich aus der kontrafaktischen Annahme, die AG sei
kapitalmarktorientiert, nicht der normative Schluss ziehen, diese Gesellschaft
im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 1184 Abs 2 ABGB anders zu
behandeln als die GmbH. Im Übrigen wäre es dann auch inkonsequent, wenn die Aktionäre
einer personalistischen AG oder gar der Alleinaktionär nach Koppensteiner nicht zur
Krisenbewältigung durch Nachschüsse gem § 1184 Abs 2 ABGB verhalten sind.
Nach der zutreffenden
Ansicht von Harrer wirft die neue
Regelung für das Recht der GmbH schwierige Verständnisfragen auf.[28] Er
fragt sich, ob aus § 1184 Abs 2 ABGB „wertungsmäßige Neuerungen des
Gesetzgebers“ abzuleiten sind, die beachtet werden müssten (und zweifelt doch
gleichzeitig an der Übertragung der Regelung auf das Recht der GmbH[29]),
oder ob nicht gleich eine Aufhebung von § 1184 ABGB erwogen werden
sollte.[30] Harrer hält außerdem die Bestimmung des
§ 1184 Abs 2 ABGB – schon für den Bereich der GesbR – für völlig
missglückt.[31]
Zunächst ist
festzuhalten, dass § 1184 Abs 1 ABGB ein allgemeines
Belastungsverbot enthält: „Die Gesellschafter sind nicht verpflichtet,
Nachschüsse zur vertraglich zugesagten Einlage zu leisten.“ Das entspricht der
alten Rechtslage gem § 1189 ABGB aF[32] („Die
Mitglieder können zu einem mehreren Beytrage, als
wozu sie sich verpflichtet haben, nicht gezwungen werden“). Mit dem unveränderten
gesellschaftsrechtlichen Prinzip des Belastungsverbotes geht einher, dass jeder
Gesellschafter vorweg wissen muss, welche Belastungen ihn aus der
mitgliedschaftlichen Bindung treffen können. Dieser Grundsatz ist auch in § 72
GmbHG zu finden. Eine betraglich unbestimmte und unbestimmbare, also
unüberschaubare Nachschusspflicht gem einem künftigen Beschluss der anderen
Gesellschafter wäre in einem Vertrag sittenwidrig[33] und im
Gesetz wohl sogar verfassungsrechtlich bedenklich (Eigentumsgarantie[34]). Das
Belastungsverbot im weiteren Sinn ist bei Kapitalgesellschaften ein stärkeres
Wesensmerkmal als bei Personengesellschaften, wo der GesbR-Gesellschafter, der
OG-Gesellschafter und der Komplementär trotz eines formalen Belastungsverbotes
immer mit persönlichen Haftungen für Gesellschaftsschulden rechnen müssen.
Auch die neue und
ausführliche Formulierung des § 1184 Abs 2 ABGB (kurz: Sanieren
oder Ausscheiden), ist so neu nicht. Bereits im § 1189 ABGB aF hieß
es: „Fände jedoch bei veränderten Umständen ohne Vermehrung des Beytrages die Erreichung des gesellschaftlichen Zweckes gar
nicht Statt, so kann das sich weigernde Mitglied
austreten, oder zum Austritte verhalten werden.“
Schon vor dem GesbR-RG ordnete
§ 1216 ABGB aF („Die in diesem Hauptstücke enthaltenen Anordnungen sind
auch auf die Handlungsgesellschaften anzuwenden; in so fern hierüber nicht
besondere Vorschriften bestehen“) ähnlich wie der neue § 1175 Abs 4
ABGB eine subsidiäre Anwendung der GesbR-Regeln auf sonstige Gesellschaften an[35] und
daher waren nach der zutreffenden hL[36] die
GesbR-Regeln auch vor der Reform auf Kapitalgesellschaften subsidiär anwendbar.
Angesichts der zumindest
im Grundsatz gleichen alten Rechtslage ist zunächst daran zu erinnern, dass zur
alten Rechtslage weder Rsp noch Lehrmeinungen ersichtlich sind, wonach
§ 1189 iVm § 1216 ABGB aF bei einer GmbH zur Nachschusspflicht
außerhalb und zusätzlich zu § 72 GmbHG führen könne, wenn ein Sanierungsbedarf
vorliegt. Das ist zur Widerlegung der zur neuen Rechtslage vertretenen Ansichten
von Walch und Koppensteiner zwar nicht ausreichend, lässt aber zumindest erste
Zweifel aufkommen. Diese Zweifel werden durch die in weiterer Folge dargelegten
Gründe, die allesamt gegen die (subsidiäre) Anwendung von § 1184
Abs 2 ABGB im Recht der GmbH oder AG sprechen, untermauert.[37]
Nach dem neuen § 1175
Abs 4 ABGB sind die GesbR-Regeln subsidiär auf Kapitalgesellschaften
anwendbar, allerdings nur, „soweit für diese keine besonderen Vorschriften
bestehen und die Anwendung dieser Bestimmungen auch unter Berücksichtigung der
für die jeweilige Gesellschaft geltenden Grundsätze angemessen ist“. Es
bestehen also zwei kumulative Anwendungsvoraussetzungen
für die Anwendung von GesbR-Bestimmungen auf andere Gesellschaften:
· Es dürfen noch keine besonderen Vorschriften
für diese anderen Gesellschaften bestehen und
· die Anwendung der GesbR-Bestimmungen ist auch
unter Berücksichtigung der für die andere Gesellschaftsform geltenden
Grundsätze angemessen.
Nur wenn beide Kriterien
zutreffen, sind GesbR-Regelungen des 27. Hauptstückes des ABGB auf andere
Gesellschaften übertragbar.
Das erste Kriterium (noch
„keine besonderen Vorschriften“ bestehen) erinnert an die Analogiekriterien:
Ein Analogieschluss setzt voraus, dass eine Lücke im Gesetz (planwidrige Unvollständigkeit) geortet wird. Ohne
Lücke ist keine Analogie zulässig. Ein ganz ähnlicher Gedanke ist nun auch in
§ 1175 Abs 4 ABGB zu finden[38] und
zeigt, dass eine voreilige Übertragung von GesbR-Regeln schon am ersten
Kriterium scheitern muss.
Das zweite Kriterium
greift den auch bei Analogieschlüssen wichtigen Aspekt auf, dass nur solche
Rechtsfolgen auf den ungeregelten Sachverhalt per analogiam
übertragen werden dürfen, die sachgerecht
sind. Damit angesprochen ist eine Wertungsfrage. Die Anwendung der
GesbR-Bestimmungen im GmbH- und Aktienrecht setzt voraus, dass die jeweils in Betracht
kommende GesbR-Regelung auch wertungsmäßig für die im GmbH- und Aktienrecht
geltenden besonderen Grundsätze passt.[39]
Erinnert sei auch an
einen anerkannten methodischen Grundsatz bei der Analogie: die analoge
Rechtsanwendung scheidet immer dann aus, wenn (aufgrund wertender
Interpretation) ersichtlich ist, dass der Gesetzgeber eine Rechtsfolge nur
unter bestimmten Umständen eintreten lassen wollte, unter anderen aber bewusst
nicht, also eine konkret gefundene „Nichtregelung" dem Plan des
Gesetzgebers entspricht (das argumentum e contrario hindert also die Analogie
und auch eine subsidiäre Anwendung).
4.
Kapitalgesellschaft
ist nicht Personengesellschaft
Es muss zunächst – auch
wenn es trivial klingen mag – an das Haftungsgefüge einer Kapitalgesellschaft
erinnert werden: Die Gesellschafter haften – im Unterschied zu Personengesellschaften
(Ausnahmen dort: der stille Gesellschafter und der Kommanditist) – eben nicht
für die Verbindlichkeiten der Kapitalgesellschaft und sind idR gerade nicht
verpflichtet, weitere Leistungen zu erbringen. Dass hingegen der, ohnedies persönlich
und unbeschränkt für bereits eingegangene Verbindlichkeiten und für die
allfällige Überschuldung[40] der
GesbR haftende GesbR-Gesellschafter zu Nachschüssen mittels Mehrheitsbeschluss verpflichtet
werden soll, ist im Recht der Personengesellschaften angemessen,[41] zumal
jeder persönlich haftende Gesellschafter bei Insolvenz nicht nur seinen Einsatz
in der Gesellschaft verliert (so wie auch der GmbH-Gesellschafter), sondern für
die Gesellschaftsschulden voll mit seinem Privatvermögen haftet. In der Krise, die
§ 1184 Abs 2 ABGB vor Augen hat, ist also ein Nachschuss in der
Hoffnung auf Sanierung oft das geringere Übel gegenüber der Vollhaftung bei
totalem Misserfolg, der nicht selten die Insolvenz der Gesellschafter zur Folge
hat.
Ganz anders ist das aber
im Recht der Kapitalgesellschaften. Dieses kennt keine persönliche Haftung des
Gesellschafters für Gesellschaftsverbindlichkeiten (§ 61 Abs 2 GmbHG;
§§ 1, 49 AktG) und Zusatzleistungen des Gesellschafters über die
ursprüngliche Kapitaleinzahlungspflicht hinausgehend sind nur mit dessen
Zustimmung möglich (nicht durch Mehrheitsbeschlüsse, vgl § 50 Abs 4–5
GmbHG). Selbst in der Insolvenz sind die Gesellschafter der GmbH oder AG nicht
zu Beiträgen verpflichtet. Eben in Ermangelung einer persönlichen Haftung von natürlichen
Personen[42]
ist daher die Kapitalgesellschaft[43]
nicht nur – wie die echten Personengesellschaften – bei Zahlungsunfähigkeit
(§ 66 IO), sondern auch schon bei Überschuldung verpflichtet, Insolvenz
anzumelden (§ 67 IO).
Die Einführung der
Nachschusspflicht bei der GmbH bedarf einer Satzungsbestimmung (§ 72
GmbHG). Bei Gründung der GmbH ist der Gesellschaftsvertrag von allen
Gesellschaftern einstimmig zu schließen. Die nachträgliche Einführung einer
Nachschusspflicht in den Gesellschaftsvertrag erfordert nach § 50 Abs 4 GmbHG ebenfalls
Einstimmigkeit iSv Zustimmung aller betroffenen Gesellschafter.[44] Hierin
liegt eine „besondere Vorschrift“ iSv § 1175 Abs 4 ABGB, die
ausschließt, dass mit Mehrheitsbeschluss (so § 1184 Abs 2 ABGB) bei der
GmbH eine – auch bloß einmalige – Nachschusspflicht oder Nachschussobliegenheit
statuiert wird. In der GmbH-rechtlichen Konstruktion des Einstimmigkeitserfordernisses
zur Nachschusspflicht ist vielmehr eine bestehende besondere Vorschrift,[45] wenn
nicht gar ein argumentum e contrario zu sehen. Daran ändert auch die
Zulässigkeit einer syndikatsvertraglichen Nachschusspflicht[46]
nichts, denn die Bindung daran setzt die Zustimmung jedes einzelnen daran
gebundenen Gesellschafters voraus, mag das durch Zustimmungserklärung beim
ursprünglichen Abschluss des Syndikatsvertrages erfolgen oder durch einen
späteren Eintritt in den bestehenden Syndikatsvertrag.
Kapitalerhöhungen können
bei einer Kapitalgesellschaft auch der Krisenbewältigung dienen. Es besteht
somit zumindest teilweise ein Überschneidungsbereich zwischen dem von
§ 1184 Abs 2 ABGB verfolgten Zweck und jenem der
Kapitalerhöhungsregeln im GmbH- und Aktienrecht. Das Kapitalgesellschaftsrecht
sieht für die Kapitalerhöhung detaillierte Regeln vor. Eine Kapitalerhöhung
kann zwar von einer Mehrheit (zu Sanierungszwecken oder aus sonstigen Gründen) beschlossen
werden, bewirkt aber für einen Gesellschafter ohne seine Zustimmung nie eine Leistungspflicht
oder „Obliegenheit bei sonstigem Verlust des Anteils“. Es entsteht nur ein
Bezugsrecht und keine Bezugspflicht oder Bezugsobliegenheit.[47] Die
Bestimmungen über Kapitalerhöhungen sind uE abschließend und schließen gem
§ 1175 Abs 4 ABGB die Anwendung von § 1184 Abs 2 ABGB aus.[48]
In systematischer
Hinsicht ist zu bedenken, dass sogar ein Kapitalerhöhungsbeschluss, der keinen
Gesellschafter zur Übernahmeerklärung zwingt, eine erhöhte, nämlich eine
¾-Mehrheit erfordert. Dies gilt sogar beim sog „Sanierungsschnitt“ iSd
§§ 59–60 GmbHG. Es reicht also nicht die in § 1184 Abs 2 ABGB vorgesehene
einfache Mehrheit. GmbHG und AktG sehen aufgrund einer sinnvollen
gesetzgeberischen Entscheidung jeweils erhöhte Beschlussquoren vor, weil die
Gesellschafter bei Kapitalgesellschaften vor von Anfang an nicht vorgesehenen
Zusatzleistungen zu schützen sind (Belastungsschutz). Ein solcher
Belastungsschutz ist bei den Personengesellschaften weniger ausgeprägt: selbst
wenn eine „Kapitalerhöhung“ bei der GesbR als Vertragsänderung der
Einstimmigkeit bedarf und blockiert werden kann, so muss doch auch ohne
Kapitalerhöhung jeder persönlich haftende Gesellschafter immer damit rechnen,
dass er zur Verlusttragung persönlich beitragen muss und insoweit „belastet“
wird.
Das zeigt für einen
wirtschaftlich vergleichbaren Vorgang ein von der GesbR völlig abweichendes
Ordnungsregime bei Kapitalgesellschaften, mit dem die in § 1184 Abs 2
ABGB vorgesehene einfache Mehrheit für Nachschussobliegenheiten bei sonstigem
Verlust der Beteiligung nicht harmonieren kann.
7.
Persönliche
Haftung aufgrund Vertrauensrelation
Bei den
Personengesellschaften sind die persönlich haftenden Gesellschafter idR zur
Mitarbeit im Unternehmen verpflichtet (§§ 1186, 1189 ABGB, §§ 112, 114
UGB). Daraus ergibt sich eine Mitwirkungspflicht, die auch umfassende
Information über die Geschäftsgebarung der Mitgesellschafter vermittelt. Die –
nach außen hin – unbeschränkte, unbeschränkbare, persönliche, solidarische und
primäre Haftung der Gesellschafter mit ihrem Privatvermögen setzt ein
Vertrauensverhältnis der Gesellschafter untereinander auch hinsichtlich der
fortbestehenden Bonität der Mitgesellschafter voraus, sonst ginge der
allfällige interne Regressanspruch ins Leere. Konsequenterweise bedarf daher
nach dem gesetzlich normierten Regelfall ein Gesellschafterwechsel der Zustimmung
aller.[49] Ein
Gesellschafter, der nun einen von der Mehrheit zur Fortsetzung der Gesellschaft
erforderlich erachteten Nachschuss nicht leisten will, setzt damit auch ein
Signal für seine wie auch immer begründete Zahlungsunwilligkeit oder
beschränkte Zahlungsfähigkeit hinsichtlich künftiger Haftungen für
Gesellschaftsschulden und auch für den damit potentiell verbundenen internen
Regress der Gesellschafter untereinander. Insoweit ist auf Basis des finanziellen
Vertrauens zwischen den bei einem Nachschuss zu Sanierungszwecken mitziehenden
Gesellschaftern die in § 1184 Abs 2 ABGB normierte Nachschussobliegenheit
mit der Forderung der Übrigen nach seinem Ausscheiden gerechtfertigt und
verständlich.
Bei Kapitalgesellschaften
ist die Treuepflicht[50] zwar
im Detail str, aber jedenfalls insoweit klar, als sie im Vergleich zu den Personengesellschaften
deutlich reduziert ist.[51] Die
Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft haften auch nicht extern solidarisch
verbunden mit internem Regress für Gesellschaftsverbindlichkeiten und sind auch
nicht zur Mitwirkung im Unternehmen verpflichtet.[52]
Somit fehlt auch aus diesem Grund die Berechtigung, eine Nachschussobliegenheit
ex lege, wenn auch „bloß“ für den Fall der Krise,
anzunehmen. Sie ist im Recht der Kapitalgesellschaften systemwidrig, ergo nicht
„angemessen“ iSv § 1175 Abs 4 ABGB.
8.
Verwässerung
nicht Ausschluss
Bei einer
Kapitalgesellschaft resultiert aus einer Kapitalerhöhung, bei der ein
sanierungsunwilliger Gesellschafter nicht mitziehen will, zwar eine
prozentuelle Anteilsreduktion („Verwässerung“) jener Gesellschafter, die das Bezugsrecht
nicht ausüben. Doch diese sind weiterhin am Gewinn der infolge Kapitalerhöhung
erstarkten Gesellschaft anteilsmäßig beteiligt und im Unterschied zur GesbR nicht
ausgeschlossen. Ein Ausschluss nach dem GesAusG ist nur bei Vorliegen der in
diesem Gesetz detailliert geregelten Voraussetzungen möglich. Auch insoweit
weisen die Regeln der Kapitalerhöhung iVm dem GesAusG einen abschließenden Charakter
auf, was gegen die Anwendbarkeit des § 1184 Abs 2 ABGB im GmbH- und
Aktienrecht spricht.
Das Aktienrecht kennt
keine Nachschüsse und zeigt am klarsten das Prinzip der Haftungs- und
Belastungsfreiheit bei Kapitalgesellschaften. § 72 GmbHG erweist sich als
Ausnahme vom allg Grundsatz der Haftungs- und Nachschussfreiheit des
GmbH-Gesellschafters, aber auch nur dann, wenn die Nachschusspflicht in die
Satzung aufgenommen und betraglich begrenzt worden ist. Die Regelungen über die
Nachschüsse im GmbHG bedürfen keiner Lückenfüllung oder Ergänzung, sondern sind
vielmehr „besondere Vorschriften“ iSd § 1175 Abs 4 ABGB, welche die
Anwendung von § 1184 Abs 2 ABGB ausschließen.
10.
Unverzichtbares
Austrittsrecht
Die in § 1184 Abs 2
ABGB vorgesehene Rechtsfolge des unverzichtbaren Austrittsrechts für den nicht
dem Nachschuss zustimmenden Gesellschafter oder die Ausschlussklage der Übrigen
ist bei einer Kapitalgesellschaft kaum umsetzbar:
Beim Austritt hat die
Personengesellschaft – bei der GesbR mangels Rechtsfähigkeit eigentlich die
verbleibenden Gesellschafter, bei OG oder KG hingegen wohl die OG bzw KG – an
den ausscheidenden Gesellschafter eine Abfindung (Auseinandersetzungsguthaben)
zu leisten. Nach § 1203 ABGB wäre das der Liquidationswert[53] und
eine Haftungsfreistellung, doch ist der Ausscheidende zum Verlustausgleich
verpflichtet. Die Materialien zu § 1184 ABGB erwähnen auch das Problem,
dass die Abfindungsansprüche der ausscheidenden Gesellschafter die Fortführung
der Gesellschaft erst recht infrage stellen können.[54] Eine
derartige Leistung der GmbH an ihren ausscheidenden Gesellschafter ist aber bei
einer Kapitalgesellschaft eine unzulässige Einlagenrückgewähr und es ist nicht
ersichtlich, dass der ABGB-Gesetzgeber die Kapitalerhaltung (als tragende Säule
des Kapitalgesellschaftsrechts) aushöhlen wollte.[55]
Ein Verlustausgleich
(§ 1203 Abs 4 ABGB) ist bei Ausscheiden eines Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft
undenkbar (vgl § 61 Abs 2 GmbHG; § 48, § 49 Abs 1 AktG).[56]
Unklar bleibt beim Austritt auch, was mit dem Geschäftsanteil geschehen soll,
da er nicht vernichtet, sondern nur übertragen werden kann. Der Austritt würde
erfordern, dass der Ausscheidende seinen Anteil den verbleibenden
Gesellschaftern andienen kann, doch fehlt dafür und für die Preisfestsetzung
jede gesetzliche Grundlage. Anders ist dies im dGmbHG,
wo die GmbH eigene Anteile erwerben und durch Versteigerung weiterveräußern
kann.[57] Ein „Abandonrecht“ wird nach zutr hA abgelehnt.[58]
Auch eine Teilliquidation
der GmbH hinsichtlich des ausscheidenden Gesellschafters wie in § 1203 Abs 2
ABGB angedeutet und damit verbunden eine Ausschüttung an den ausscheidenden
Gesellschafter ist bei einer Kapitalgesellschaft unzulässig.
Zu überlegen wäre, ob –
sofern das Mindestkapital nicht unterschritten wird – bei der GmbH oder AG eine
alineare Kapitalherabsetzung möglich wäre, um den Anteil des Ausscheidenden zu
beseitigen. Die rechtliche Zulässigkeit dieses Weges ist aber höchst zweifelhaft.
Sollte eine Ausschlussklage
iSv § 1184 Abs 2 ABGB bei der GmbH oder AG außerhalb des derzeit
zugelassenen Rahmens nach dem GesAusG angedacht werden, müsste diese Klage mit
einer Geschäftsanteils- bzw Aktien-Übernahmepflicht der klagenden
Gesellschafter verbunden sein.[59] Eine
Grundlage dafür ist im Gesetz aber nicht enthalten. Eine Analogie zu § 1
GesAusG, der nur auf einen Hauptgesellschafter, nicht aber auf eine Mehrheit
von übernehmenden Gesellschaftern abzielt, ist uE abzulehnen. Im Unterschied
zum GesAusG könnte außerdem hier nicht nur ein „kleiner“ Gesellschafter mit
Anteil von höchstens 10%, sondern auch ein Gesellschafter mit Anteil bis zu
49,9%[60] ausgeschlossen
werden. Außerdem sieht § 1 GesAusG den Ausschluss immerhin gegen
„angemessene Barabfindung“ vor, während der ausgeschlossene Gesellschafter nach
§ 1203 Abs 2 ABGB bzw § 137 Abs 2 UGB lediglich die
Auszahlung dessen verlangen kann, „was er bei der Auseinandersetzung erhielte,
wenn die Gesellschaft zur Zeit seines Ausscheidens aufgelöst worden wäre“. Auch
hier liegt ein unüberbrückbarer Wertungswiderspruch vor, der einer Lösung des
Problems durch analoge Anwendung der Bestimmungen des GesAusG entgegensteht.
Die Judikatur anerkennt
bislang den Ausschluss eines Gesellschafters zu Recht nur aus wichtigem Grund
und nur, wenn der Gesellschaftsvertrag dies vorsieht.[61]
Liegt aber kein wichtiger Grund vor, wird die einseitige Beendigung über die
Reichweite des GesAusG hinaus zutreffend abgelehnt.[62] Die
Weigerung eines Gesellschafters zur Leistung von zuvor nicht vereinbarten Nachschüssen
stellt bei einer die persönliche Haftung als Gesellschafter grds ausschließenden
Kapitalgesellschaft keinen wichtigen Grund dar.[63] Selbst
aus der Treuepflicht ergibt sich keine Nachschusspflicht (siehe dazu bereits oben
C.1.), deren Verletzung einen Ausschlussgrund bilden könnte. Eine allgemeine
und nicht von wichtigen Gründen abhängige Hinauskündigungsmöglichkeit der
anderen Gesellschafter wird von der hL als sittenwidrige Beeinträchtigung der
Gesellschafterstellung angesehen.[64]
Diese – theoretisch – denkbaren
Ausscheidensvarianten infolge Nachschussverweigerung sind im Rahmen einer GmbH oder
AG absolute Fremdkörper und mit dem Wesen einer Kapitalgesellschaft kaum zu
vereinbaren. Das GmbHG kennt als Sanktion bei Nachschussverweigerung (nur) die
Kaduzierung (vgl § 73 GmbHG). Somit wäre die Anwendung von § 1184
Abs 2 ABGB iVm § 1175 Abs 4 ABGB bei „Berücksichtigung der“ für
die GmbH „geltenden Grundsätze“ nicht „angemessen“ und ist daher abzulehnen. Dass
hingegen durch eine Anwendung des § 1184 Abs 2 ABGB spezifisch
GmbH-rechtliche Bestimmungen geradezu „ausgehebelt“ werden müssten, ist auf
Grund des klaren Gesetzeswortlauts kein Kriterium und daher für die Ablehnung
der ABGB-Anwendung gar nicht erforderlich.[65]
Schließlich ist auch die Absicht des Gesetzgebers des GesbR-RG zu
hinterfragen: Ausweislich der Mat[66]
sollte durch § 1175 Abs 4 ABGB das Recht der GesbR als „allgemeiner
Teil des Gesellschaftsrecht" angesehen werden. Wie bereits oben erwähnt
ist den Materialien aber keinesfalls zu entnehmen, dass im Unterschied zur
alten Rechtslage nunmehr ganz bestimmte Regelungen, insbesondere § 1184 Abs 2
ABGB auf Kapitalgesellschaften anzuwenden sein sollen. Insofern ist kein
Änderungswillen des Gesetzgebers in Bezug auf das Kapitalgesellschaftsrecht zu
erkennen.[67]
Das Schweigen der Materialien kann als Beleg gegen eine exzessive Anwendung von
GesbR-Recht auf Kapitalgesellschaften dienen.
Im Ergebnis ist § 1184 Abs 2 ABGB im Recht der GmbH oder AG
nicht (subsidiär) anzuwenden.
[1] Vgl auch § 109 Abs 4 UGB für die OG bzw KG.
[2] Krit Harrer, Sanieren oder Ausscheiden, GES 2015 (in Druck).
[3] Siehe § 1192 Abs 1 ABGB.
[4] § 1184 Abs 2 ABGB.
[5] GesbR-RG BGBl I 2014/83.
[6] Wenn hier von der AG
gesprochen wird, ist die SE als "Sonderform der AG" ebenfalls
gemeint.
[7] § 1184 Abs 2 ABGB ist dispositiv. Kommt man – im Unterschied zu der hier vertretenen Auffassung – zum Ergebnis, dass die Bestimmung im GmbH- und Aktienrecht subsidiär anzuwenden ist, könnte sie dennoch ohne Weiteres durch eine abweichende Regelung im Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen werden.
[8] RV 270 Blg XXV GP 3; Kalss, Die Entwicklung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts über 200 Jahre, in FS 200 Jahre ABGB (2011) 441 (444 ff); Walch, Die subsidiäre Anwendbarkeit des Zivilrechts im GmbHG (2014) 161 ff.
[9] RV 270 Blg XXV GP 3.
[10] RV 270 Blg XXV GP 3.
[11] JA 297 Blg XXV GP 1.
[12] Walch, Die subsidiäre Anwendbarkeit der GesbR-Bestimmungen im GmbH-Recht nach der GesbR-Reform, RdW 2015, 78 mit Verweis auf die Monographie Walch, Die subsidiäre Anwendbarkeit des allgemeinen Zivilrechts im GmbHG.
[13] Ausführlich Walch, Die subsidiäre Anwendbarkeit des allgemeinen Zivilrechts im GmbHG 161 ff.
[14] RV 270 Blg XXV GP 8.
[15] Walch, RdW 2015, 78 (82).
[16] Walch, RdW 2015, 78 (83).
[17] Walch, RdW 2015, 78 (83).
[18] Im Gegensatz zu einer (beleidigenden) Diskussionsabwürgung wie in OGH 29. 3. 1994, 1 Ob 599/93, geschehen.
[19] Diese Kautelarformulierung
stammt von Pimmer, Ist die
Prozessökonomie eine Rechtfertigung für die Verletzung des
Unmittelbarkeitsgrundsatzes?, ecolex 2015, 286 (289).
[20] Brugger/Schopper in Straube, Wiener Kommentar zum GmbHG §§ 72–74 passim.
[21] OGH 16. 11. 2012, 6 Ob 47/11x: keine generelle Pflicht zu zusätzlichen
finanziellen Leistungen des Gesellschafters selbst in einer „Notsituation“ der
GmbH und Nichtanwendung von § 1043 ABGB nach erfolgreicher Sanierung; zust
Walch, RdW 2015, 78 (84); zur AG
siehe Schopper in Jabornegg/Strasser, AktG5
§ 49 Rz 44.
[22] Koppensteiner, Die GesbR neuer Prägung und der allgemeine
Teil des Gesellschaftsrechts, wbl 2015, 301 (310).
[23] Koppensteiner, wbl
2015, 301 (311).
[24] Brugger/Schopper in WK GmbHG § 72 Rz 12; vgl auch
Reich-Rohrwig,
GmbH-Recht1, 609; Trenker
in U. Torggler, GmbHG § 72 Rz 11.
[25] Zur Annahme der Sanierungsbedürftigkeit ist nicht die schon eingetretene Zahlungsunfähigkeit erforderlich; vielmehr reicht eine in absehbarer Zeit konkret drohende Zahlungsunfähigkeit; so BGH 9. 6. 2015, II ZR 420/13.
[26] Vgl dazu Koppensteiner, wbl 2015, 301 (311 in FN 104) unter Verweis auf Haberer, Zwingendes Kapitalgesellschaftsrecht (2009).
[27] Brugger, Aktuelles zur Satzungsstrenge nach OGH 6 Ob 28/13f, NZ 2014, 145 (150): Bei der GmbH und AG sind jeweils rund 9% der Gesellschaften Ein-Personen-Gesellschaften; vgl aber auch Reich-Rohrwig, Analyse der Satzungen von Aktiengesellschaften in Österreich, in FS Aicher (2012) 605 (606): hier wurde eine Stichprobe von 6% aus den zum Stichtag 4. 2. 2011 bestehenden österreichischen AGs gezogen. Davon waren sogar 29% Ein-Personen-Gesellschaften.
[28] Harrer, Die Reform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, wbl 2015, 121 (125).
[29] Harrer, wbl 2015, 121
(125)
[30] Harrer, wbl 2015, 121
(125).
[31] Harrer, Sanieren oder
Ausscheiden, GES 2015 (in Druck).
[32] JGS 946/1811; die
historische Orthographie (laut www.ris.bka.gv.at) ist hier beibehalten worden.
[33] Darauf verweist zutr Harrer, Sanieren oder Ausscheiden, GES 2015 (in Druck).
[34] Die Ausscheidensfolge könnte ähnlich einer Enteignung mit Entschädigung angesehen werden; aber auch eine Enteignung mit Entschädigung ist am Sachlichkeitskriterium zu prüfen. UE ist eine betraglich unüberschaubare Nachschussobliegenheit (bei sonstiger Enteignung) nicht sachgerecht, zumal die Höhe des Nachschussbeschlusses nicht auf das zur Sanierung Nötige beschränkt ist.
[35] Dieser § 1216 ABGB aF war erst seit Aufhebung von Art 7 Nr 1 EVHGB und § 179 HGB (ab 31. 1. 2006) voll anwendbar. Zuvor war § 1216 ABGB aF von Art 7 Nr 1 EVHGB und § 179 HGB überlagert; vgl Wittmann-Tiwald in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 1216 ABGB Rz 1.
[36] Ausführlich Kalss in FS 200 Jahre ABGB (2011) 441 (444 ff); Walch, Die subsidiäre Anwendbarkeit des Zivilrechts im GmbHG 161 ff; vgl auch Wittmann-Tiwald in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 1216 ABGB Rz 2 mwN.
[37] Die folgenden Darlegungen
werden ähnlich demnächst in Brugger/Schopper
in
Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG § 72 Rz 56/1–56/9 (in Druck)
veröffentlicht.
[38] Wobei man bei der vom Gesetzgeber ohnehin angeordneten subsidiären Anwendbarkeit der GesbR-Bestimmungen wohl gar nicht von einer planwidrigen Unvollständigkeit des GmbHG wird sprechen können, weshalb die subsidiäre Anwendung methodisch von einer analogen Rechtsanwendung wohl zu unterscheiden ist.
[39] Vgl dazu ausführlich Walch, Die subsidiäre Anwendbarkeit des allgemeinen Zivilrechts im GmbHG 39 ff und 206 f.
[40] Gemeint ist, dass das vorhandene Vermögen der GesbR die Schulden nicht mehr deckt (betriebswirtschaftliche Sicht); insolvenzrechtlich ist das freilich irrelevant, weil der – die Überschuldung als Insolvenzverfahrensvoraussetzung regelnde – § 67 IO auf die GesbR nicht anwendbar ist.
[41] Auf Wertungs-Unstimmigkeiten verweist zutr Harrer, wbl 2015, 121 (124).
[42] Dellinger in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 67 KO Rz 2.
[43] Einschließlich der GmbH
& Co KG (vgl § 67 IO); die GmbH & Co KG wird auch sonst häufig den
Kapitalgesellschaften gleichgesetzt (vgl zB § 189 Abs 1 Z 2
UGB).
[44] Brugger/Schopper in WK GmbHG § 72 Rz 54.
[45] AA Walch, RdW 2015, 78 (83).
[46] Vgl dazu Brugger/Schopper in WK GmbHG § 72 Rz 18; OGH 17. 9. 2014, 6 Ob 35/14m ecolex 2014, 1068 (Reich-Rohrwig) = GesRZ 2015, 203 (Heidinger) = NZ 2014, 386.
[47] § 52 Abs 3
GmbHG spricht von einem "Vorrecht" jedes Gesellschafters zur
Übernahme der neuen Stammeinlagen. In § 153 AktG heißt dies
"Bezugsrecht".
[48] Ebenso Walch, RdW 2015, 78 (82).
[49] Vgl dazu auch Schopper, Gesellschafterwechsel durch Anteilsübertragung in der Kapitalgesellschaft & Co, in FS Reich-Rohrwig (2014) 207 (208).
[50] Zur AG vgl Schopper in Jabornegg/Strasser, AktG5
§ 12 Rz 19 mwN; zur GmbH Winkler/Gruber
in Gruber/Harrer, GmbHG (2014) § 61
Rz 39; übersichtlich Krejci,
Gesellschaftsrecht I (2005) 199.
[51] OGH 16. 11. 2012, 6 Ob 47/11x GesRZ 2013, 153. Der
Gesellschafter einer OG unterliegt einem Wettbewerbsverbot (OGH
11. 8. 2015, 4 Ob 71/15t), was für den GmbH-Gesellschafter nicht
gilt.
[52] Diese Unterschiede kontrastierend: Rieder/Huemer, Gesellschaftsrecht3 (2013) 45 und 70.
[53] Unter Umständen als Wert des lebenden Unternehmens bei fiktiver Liquidationsveräußerung des lebenden Gesamtunternehmens; vgl Koppensteiner/Auer in Straube/Ratka/Rauter, WK UGB I4 §§ 137, 138 Rz 9. Der OGH 29. 6. 2015, 6 Ob 144/14s, sprach erst jüngst aus, dass der ausscheidende Gesellschafter einer Personengesellschaft einen schuldrechtlichen Abfindungsanspruch gegen die Gesellschaft in jener Höhe hat, als ob die Gesellschaft zur Zeit seines Ausscheidens aufgelöst worden wäre („Gesamtabrechnungsgrundsatz“ anhand einer Abschichtungsbilanz, uU besteht auch eine Fehlbetragszahlungspflicht). Nach OGH 29. 6. 2015, 6 Ob 49/15x wird der Anspruch mit Ausscheiden fällig.
[54] RV 270 Blg NR XXV GP 13.
[55] Auch das Ausscheiden eines Kommanditisten bei der GmbH & Co KG kann problematisch sein, weil der Grundsatz der Kapitalerhaltung nach dem OGH auch für die GmbH & Co KG gilt. Dies rechtfertigt aber keinesfalls, den Kapitalerhaltungsgrundsatz auch bei der GmbH auszuhöhlen, indem man eine Leistung der Gesellschaft an den ausscheidenden Gesellschafter zulässt.
[56] Skeptisch daher auch Walch,
RdW 2015, 78 (83).
[57] Vgl Brugger/Schopper in WK GmbHG § 73 Rz 2.
[58] Vgl Brugger/Schopper in WK GmbHG § 73 Rz 19 mwN.
[59] Dafür Harrer, wbl 2015, 121
(125).
[60] Bei abweichend vereinbarten Stimmgewichten (§ 1192 Abs 2 ABGB ist dispositiv, vgl RV 270 Blg XXV GP 15) wäre sogar denkbar, dass ein Mehrheitsbeschluss mit den Stimmen eines kapitalmäßigen Minderheitsgesellschafters zustande kommt. Dann könnte sogar ein Mehrheitsgesellschafter vom Minderheitsgesellschafter ausgeschlossen werden.
[61] OGH 14. 09. 2011, 6 Ob 80/11z GesRZ 2012, 129; 17. 10. 2006,
1 Ob 135/06v ecolex 2007/120; nach hL aber auch ohne gesellschaftsvertragliche
Grundlage.
[62] Vgl die Nachweise der Rsp bei Kalss,
Zur Zulässigkeit der Hinauskündigung eines GmbH-Gesellschafters, in FS Reich-Rohrwig
(2014) 66.
[63] AA Walch, RdW 2015, 78 (82).
[64] Rüffler in Kalss/Rüffler, Satzungsgestaltung in der
GmbH (2005) 71; Haberer, Zwingendes
Kapitalgesellschaftsrecht (2009) 680 ff.
[65] AA Walch, RdW 2015, 78 (83).
[66] RV 270 Blg NR XXV GP 8.
[67] AA Harrer, wbl 2015, 121
(125).