Einschränkung des Parteiantrags auf Normenkontrolle ist teilweise verfassungswidrig

 

Von Hon.-Prof. Dr. Walter Brugger, Wien. Der Autor ist Rechtsanwalt und Gründungspartner der Anwaltskanzlei Dorda Brugger Jordis Rechtsanwälte GmbH in Wien und Honorarprofessor am Institut für Managementwissenschaften der TU Wien.

 

 

Der VfGH sprach aus, dass die undifferenzierte und pauschalierte Ausnahme aller Verfahren des § 37 Abs 1 MRG vom (grundsätzlich gemäß B-VG eingeräumten) Recht auf einen Parteiantrag auf Normenkontrolle unsachlich und somit verfassungswidrig ist. Dieser Aufsatz beleuchtet das Umfeld.

 

 

I. Einleitung

In Ergänzung zum seit 1975 möglichen, aber vom VfGH restriktiv gehandhabten Individualantrag (Art 140 Abs 1 Z 1 lit c B-VG) gelten seit 1.1.2015 Bestimmungen, wonach – unabhängig von der Initiative des Gerichtes (Art 89 Abs 2 und 3 B-VG) auch die Partei einer von einem ordentlichen Gericht erstinstanzlich entschiedenen Rechtssache einen Antrag auf Normenkontrolle an den VfGH richten kann.[1] Dieser Antrag ist nicht davon abhängig, dass das Gericht trotz Anregung nicht selbst eine Normenprüfung beantragt hat (daher ist der Antrag kein "Subsidiarantrag"[2]).

Die Grundlagen für diesen Parteiantrag auf Normenkontrolle finden sich in Art 139 Abs 1 Z 4 B-VG und Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B-VG.[3]

§ 75a und § 62a VfGG schränken das Antragsrecht auf die Partei ein, die selbst rechtzeitig ein zulässiges Rechtsmittel erhebt.[4]

 

II. Ausnahmenkatalog

Art 139 Abs 1a und Art 140 Abs 1a B-VG erlauben eine Ausnahme von diesem Recht auf Stellung eines Parteiantrags auf Normenkontrolle: Wenn es "zur Sicherung des Zwecks des Verfahrens  […] erforderlich" ist, kann durch einfaches Bundesgesetz der Normenkontrollantrag in bestimmten Angelegenheiten für unzulässig erklärt werden. Die Gesetzesmaterialien verweisen etwa auf Provisorialverfahren oder Insolvenzverfahren.[5] Die Umsetzung geschah einfachgesetzlich (jeweils gleichlautend) durch §§ 57a, 62a VfGG, wonach der Antrag unzulässig ist:

1. im Verfahren zur Anordnung oder Durchsetzung der Rückstellung widerrechtlich verbrachter oder zurückgehaltener Kinder (§ 111a AußStrG);

 2. im Besitzstörungsverfahren (§§ 454–459 ZPO);

 3. im Beweissicherungsverfahren (§§ 384–389 ZPO);

 4. im Verfahren gem § 37 Abs 1 MRG, § 52 Abs 1 WEG 2002 und § 22 Abs 1 WGG;

 5. im Verfahren über die Kündigung von Mietverträgen und über die Räumung von Mietgegenständen;

 6. im Verfahren betr mittlerweilige Vorkehrungen gem § 180 NO;

 7. im Verfahren gem UVG;

 8. im Insolvenzverfahren;

 9. im Exekutionsverfahren und im Verfahren betr EV gem EO, einschließlich des Verfahrens über die Vollstreckbarerklärung;

 10. im Verfahren der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, insbesondere Auslieferung, Übergabe, Rechtshilfe, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung.

 

III: Verfassungswidrigkeit

Es wurde schon mehrfach in der Lit darauf hingewiesen, dass die in Z 4 und 5 genannten Einschränkungen weit über das "Unerlässliche" im Sinne des B-VG hinausgehen und verfassungswidrig sind, weil der VfGH in stRsp den Gesetzesbegriff "erforderlich" iSv "unerlässlich" interpretiert. Eine "Unerlässlichkeit", den Rechtsbehelf eines Parteiantrages auf Normenkontrolle in allen Fällen eines mietrechtlichen oder wohnungseigentumsrechtlichen Außerstreitverfahrens auszuschließen, ist nicht ersichtlich, zumal der Gesetzgeber durchaus in Kauf nimmt, dass diesen Rechtssachen eine in der Praxis oft nutzlose, aber zeitraubende Schlichtungsstelle vorgeschaltet wird.[6]

Nun hat der VfGH für § 37 Abs 1 MRG erkannt,[7] dass die undifferenzierte und pauschalierte Ausnahme aller Verfahren des § 37 Abs 1 MRG vom (grundsätzlich gemäß B-VG eingeräumten) Recht auf einen Parteiantrag auf Normenkontrolle unsachlich und somit verfassungswidrig ist. Eine Einschränkung des Antragsrechtes auf Normenkontrolle ist nämlich nur dort erforderlich ("unerlässlich"), wo "besondere Umstände" vorliegen. Die dem einfachen Gesetzgeber eingeräumte Befugnis, eine Ausnahme vom Antragsrecht auf  Normenkontrolle für unerlässliche Fälle einzuräumen, ist laut VfGH eng auszulegen.

Der VfGH sprach weiters aus, dass alleine der zeitliche Aspekt einer Verfahrensverzögerung durch die Stellung eines Parteiantrags auf Normenkontrolle für sich genommen kein Grund ist, der den Bundesgesetzgeber berechtigt, von der ihm eingeräumten Ermächtigung Gebrauch zu machen, dass er ein Verfahren vom Antragsrecht auf Normenkontrolle ausnimmt.

Der VfGH hob daher in § 62a Abs 1 Z 4 VfGG die Wortfolge "§ 37 Abs 1 MRG" als verfassungswidrig auf. Völlig überraschend kommt dieses Erkenntnis nicht, weil in der Lit nicht nur von mir,[8] sondern schon mehrfach darauf hingewiesen worden ist, dass etliche Ausnahmen vom Antragsrecht in § 62a und § 57a VfGG überschießend – und somit verfassungswidrig – sind.[9] Andere Lehrmeinungen äußerten zumindest Zweifel an der Verfassungskonformität[10] oder zeigten weitere verfassungsmäßige Bedenken auf.[11]

 

IV. Folgerungen

Im Anlassfall für dieses VfGH–Erkenntnis war nur § 62a VfGG (Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes) präjudiziell. Hingegen ist die gleichlautende Bestimmung des § 57a VfGG (Gesetzwidrigkeit einer Verordnung) noch nicht ausjudiziert. Es kann aber kein Zweifel bestehen, dass im § 57a VfGG die gleichlautende Bestimmung, wonach ebenfalls im Verfahren gem § 37 Abs 1 MRG der Parteiantrag auf Normenkontrolle ausgeschlossen sein soll, genauso verfassungswidrig ist.

Offen geblieben im VfGH-Anlassfall ist die Frage, ob die weiteren Ausnahmebestimmungen in § 57a und § 62a VfGG verfassungskonform sind.

Es sind nämlich in der jeweiligen Z 4 (neben dem nun als verfassungswidrig aufgehobenen § 37 Abs 1 MRG) auch die Verfahren nach § 52 Abs 1 WEG und § 22 Abs 1 WGG aufgezählt. Diese einfachgesetzlichen Ausnahmen vom Antragsrecht auf Normenkontrolle sind ebenfalls am selben Maßstab zu prüfen, nämlich ob sie "unerlässlich" sind.

Dazu ist zu überlegen: § 52 Abs 1 WEG umfasst alle wohnungseigentumsrechtlichen Außerstreitverfahren und § 22 WGG erfasst alle Außerstreitverfahren nach dem WGG. Dazu gehören ua Nutzwertfestsetzung, Duldung (WEG) bzw Durchführung (WGG) von Erhaltungsarbeiten, Minderheitsrecht einzelner Wohnungseigentümer, Fragen der Rechtswirksamkeit oder Aufhebung von Wohnungseigentümerbeschlüssen, Zulässigkeit eines Aufteilungsschlüssels (WEG), Anteil an Betriebskosten (WGG), Durchsetzung von Verwalterpflichten (WEG), Verwaltungskosten (WGG), Preisangemessenheit (WGG) usw. Manche Verfahren des WGG entsprechen denen des MRG (zB Anspruch auf Wiederherstellung, Duldung von Eingriffen, Wohnungstausch). Auch hier ist offensichtlich, dass nicht alle diese Verfahren gleiche Dringlichkeit haben können – für einige dieser Verfahren ist sogar die zeitraubende Vorschaltung der Schlichtungsstelle vorgesehen. Doch auch hier "streichen" die §§ 57a und 62a VfGG pauschal für alle diese Verfahren den Parteiantrag auf Normenkontrolle. Dies ist unsachlich und somit ebenfalls verfassungswidrig.[12]

In §§ 57a und § 62a VfGG ist weiters in der jeweiligen Z 5 der Parteiantrag auf Normenkontrolle ausgeschlossen für Verfahren über die Kündigung von Mietverträgen und über die Räumung von Mietgegenständen. Dabei handelt es sich um – zumindest für die meisten Mieter – geradezu existentielle Rechtsstreitigkeiten. Der Gesetzgeber hat dies an und für sich erkannt  und für diese Verfahren Sonderregeln vorgesehen, etwa den Räumungsaufschub (§ 34 MRG) und die Aufschiebung der Räumungsexekution (§ 35 MRG). Außerdem gelten für Streitigkeiten aus Bestandverträgen (§ 49 Abs 2 Z 5 JN) die Berufungs- und Revisionsbeschränkungen des § 501 Abs 1 und des § 502 Abs 2-3 ZPO nicht (§ 501 Abs 2 und § 502 Abs 5 Z 2 ZPO). Daraus ist zu schließen, dass für diese Verfahren sowohl soziale Rücksichtnahme als auch die Richtigkeitsgarantie einer Entscheidung wichtiger sind als die Verfahrensgeschwindigkeit. Da lt VfGH[13] der zeitliche Aspekt einer Verfahrensverzögerung durch die Stellung eines Parteiantrags auf Normenkontrolle für sich genommen kein Grund ist, den Parteiantrag auf Normenkontrolle auszuschließen, und mE auch keine andern klaren Gründe für den Ausschluss ersichtlich sind, sind auch die einfachgesetzlichen Ausschlüsse in Z 4–5 der  §§ 57a, 62a VfGG verfassungswidrig, zumindest in ihrer undifferenzierten Pauschalität.

 

 



[1] Jüngst ausf Brugger, Die erfolgreiche Berufung im Zivilprozess2 (samt Parteiantrag auf Normenkontrolle) Rz 308–347.

[2] So aber noch die Terminologie im Stadium vor Gesetzwerdung und mE verfehlt auch in späterer Lit, etwa Kneihs, ZfV 2015/5, 35. Vgl dazu schon Brugger, Die erfolgreiche Berufung im Zivilprozess2 (samt Parteiantrag auf Normenkontrolle) Rz 327.

[3] IdF BGBl I 2013/114.

[4] IdF BGBl I 2014/92

[5] AB 238 Blg NR 24. GP 9.

[6] Brugger, Die erfolgreiche Berufung im Zivilprozess2 (samt Parteiantrag auf Normenkontrolle) Rz 325. Ebenso Klicka, wobl 2015, 10 (12).

[7] VfGH 1.10.2015, G 346/2015, insb Pkt 3.2. bis 3.4.

[8] Brugger, Die erfolgreiche Berufung im Zivilprozess2 (samt Parteiantrag auf Normenkontrolle) Rz 325.

[9] Harnoncourt, ZfV 2015, 273; Kneihs, ZfV 2015/5, 35.

[10] Schoditsch, ecolex 2015, 338 (340); Khakzadeh-Leiler, ÖJZ 2015, 543 (584).

[11] Bußjäger, JBl 2015, 149.

[12] Differenzierend Kneihs, ZfV 2015/5, 35.

[13] FN 7.